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RAG ist tot – warum Unternehmen heute weiterdenken müssen

By Nicolas Bartschat | 27.08.2025

RAG is dead

Retrieval-Augmented Generation (RAG) bezeichnet eine Technik, bei der große Sprachmodelle mit externem Wissen angereichert werden. Anstatt sich nur auf ihr im Training erworbenes „parametrisches“ Wissen zu verlassen, holen LLMs sich dabei gezielt zusätzliche Informationen aus Datenbanken, Dokumentensammlungen oder dem Web. Die Idee wurde 2020 von Forschern um Patrick Lewis (damals Facebook AI) vorgestellt, die den Begriff RAG prägten. Das Konzept ermöglichte es früh, KI-Modelle aktuell und domänenspezifisch zu machen, ohne sie jedes Mal neu trainieren zu müssen. Doch wie steht es heute um RAG? In diesem Beitrag beleuchten wir, wie RAG funktioniert, warum es einst unverzichtbar war, und welche Entwicklungen dazu führen, dass RAG inzwischen an zentraler Bedeutung verloren hat.

Wie RAG funktioniert: LLMs mit externem Wissen füttern

Ein RAG-System besteht typischerweise aus drei Komponenten: Retriever, Augmenter und Generator. Zuerst durchsucht ein Retriever (z.B. eine Vektor-Datenbank oder ein Suchindex) eine große Wissensbasis nach den passendsten Dokumenten zur Nutzerfrage. Dann werden diese Fundstücke als Kontext an die Eingabe angehängt (Augmentierung). Schließlich erzeugt der Generator,  das Large Language Model selbst, die Antwort, wobei es sowohl sein internes Wissen als auch die zugespielten externen Informationen nutzt. Dieses Prinzip ähnelt einem Gerichtsverfahren: Das LLM ist der „Richter“ mit allgemeinem Verständnis, der Retriever fungiert als „Gerichtsdiener“, der gezielt in der Bibliothek nach präzedenzfällen oder spezifischen Fakten sucht.

Das Retrievial-Augmentations-Prinzip war ein eleganter Weg, um die frühen Einschränkungen von LLMs zu umgehen. Frühere Modelle hatten winzige Kontextfenster: GPT-1 konnte z.B. nur ~512 Token auf einmal verarbeiten. Wissen aus längeren Texten oder großen Datenbeständen konnte nicht direkt in die Anfrage gepackt werden, da die Modelle blind für Informationen jenseits ihrer Kontextgröße waren. RAG löste dieses Problem, indem es den Modellen erlaubte „on demand“ nachzuschlagen: Statt das gesamte Wissen in den Prompt zu packen, wurden nur die relevantesten Ausschnitte hineingeschoben. Die ursprüngliche RAG-Publikation von 2020 bezeichnete das Verfahren als „general-purpose fine-tuning recipe“, weil man damit praktisch jedes vortrainierte LLM mit beliebigen externen Ressourcen verbinden kann.

Beispiel: Ein generatives KI-Modell, das medizinische Fragen beantwortet, könnte per RAG an eine Datenbank medizinischer Fachartikel angeschlossen werden. Fragt ein Nutzer nach einer seltenen Diagnose, holt der Retriever passende Publikationen heraus, hängt sie dem Prompt an, und das LLM formuliert daraufhin eine fundierte Antwort mit konkreten Referenzen. So kann das Modell Informationen liefern, die über sein Trainingswissen hinausgehen, und diese sogar mit Quellenangaben untermauern, ein großer Vorteil zur Vertrauensbildung.

Warum RAG ursprünglich so wichtig war

In den Jahren 2020 bis 2022 entwickelte sich RAG vom Forschungs-Prototyp zum De-facto-Standard, insbesondere für wissensintensive KI-Anwendungen. Der Hauptgrund: Limitierte LLMs. Modelle wie GPT-2 oder frühe GPT-3-Versionen konnten nur wenige tausend Token an Kontext fassen und hatten zudem deutliche Wissenslücken bei aktuellen oder sehr spezifischen Themen. RAG füllte diese Lücken: Statt ein Modell teuer mit jeder neuen Information nachzutrainieren, konnte man es mit einer schlanken Retrieval-Pipeline dynamisch aktualisieren. Entwickler berichten, dass sich eine RAG-Anbindung mit wenigen Codezeilen umsetzen ließ, viel schneller und kostengünstiger, als das Modell selbst mit neuen Daten zu füttern.

Unternehmen machten sich dieses „Wissens-Plugin“ zunutze, um aktuelle Informationen bereitzustellen und Halluzinationen zu reduzieren. Indem das LLM gezielt aus vertrauenswürdigen Dokumenten zitierte, stieg die Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit der Antworten. Tatsächlich galt RAG zeitweise als Muss, um verlässliche Antworten aus LLMs herauszukitzeln: „Weil Modelle nicht den gesamten Wissensbestand auf einmal sehen konnten, war RAG unerlässlich für Genauigkeit und um Halluzinationen einzudämmen“, wie Salesforce-Forscher 2023 betonten.

Gleichzeitig explodierte das Ökosystem rund um RAG. 2022 sprießen spezialisierte Vektor-Datenbanken wie Pilze aus dem Boden: Pinecone, Weaviate, Milvus, Qdrant und andere, optimiert auf semantische Ähnlichkeitssuche in Texten. Ebenso entstanden Entwickler-Frameworks (z.B. LangChain oder LlamaIndex), die fertige Bausteine für RAG-Pipelines boten. Das typische KI-Stack in Unternehmen sah bald so aus: „LLM + Vector Database“, also ein großes Sprachmodell kombiniert mit einer embeddings-basierten Wissensdatenbank. Laut Gartner nutzten 2022 erst ~2% der Firmen solche Vector-DB/LLM-Kombinationen, doch bis 2026 sollen es über 30% sein. Venture-Investoren witterten ebenfalls Potenzial: Der Vektordatenbank-Pionier Pinecone etwa sammelte im Frühjahr 2023 $100 Mio. ein (Bewertung $750 Mio.), um die Infrastruktur für RAG-Anwendungen bereitzustellen.

Kurzum: RAG war die Antwort auf die damaligen Grenzen der KI-Modelle. Es fungierte gewissermaßen als Brücke zwischen kleinen Modellen und großen Datenbergen. So ließen sich bereits mit GPT-3 und Co. nützliche Anwendungen bauen, von Chatbots, die firmeneigene Dokus durchsuchen, bis zu Frage-Antwort-Systemen auf Wikipedia-Basis.

Erste Probleme: Wo RAG an Grenzen stieß

Mit zunehmender Praxis zeigten sich jedoch auch Schwächen des RAG-Ansatzes. Eine raffinierte Pipeline allein garantierte noch keine perfekte Antwort, vieles hing an der Qualität der Vorverarbeitung. So mussten große Dokumente in handhabbare Chuncks zerlegt und als Vektoren embeddet werden. Dabei gingen kontextuelle Feinheiten oft verloren. Wenn die Texthäppchen zu klein gewählt wurden, fehlte dem LLM womöglich der Gesamtzusammenhang; waren sie zu groß, verfehlte der Retriever relevante Details. Die semantische Suche konnte zudem irrelevante Treffer liefern, falls die Embeddings Ähnlichkeit falsch einschätzten. In der Praxis erhielten Nutzer deshalb manchmal Ausschnitte, die am Thema vorbeigingen oder mitten im Satz abbrachen, was die Generierung kohärenter Antworten erschwerte.

Auch der Engineering-Aufwand von RAG war nicht zu unterschätzen. Eine Pipeline mit Datenbank, Vektorisierung, regelmäßigen Updates der Wissensbasis etc. muss gepflegt werden: Daten hinzufügen, Embeddings neu berechnen, Indexe aktuell halten, all das kostet Zeit und Rechenressourcen. „RAG erfordert eine robuste Infrastruktur, um externe Datenquellen zu speichern, zu verwalten und effizient abzufragen. Je komplexer der Retrieval-Mechanismus, desto höher das Risiko, irrelevante oder falsche Infos zu ziehen“, warnt ein AI-Blog. Diese Komplexität konnte sogar neue Fehlerquellen einführen, z.B. wenn das System aufgrund eines fehlerhaften Treffers eine Halluzination mit überzeugender Quelle produzierte.

Ein weiteres Problem: Kosten und Latenz. Jede Nutzeranfrage löst in einem RAG-System mehrere Schritte aus: Zuerst rechnet man Embeddings aus der Frage, dann werden Ähnlichkeitssuchen im Vektorraum durchgeführt, anschließend muss das LLM mit zusätzlichem Kontext die Antwort generieren. Diese Kette dauert länger als eine alleinstehende LLM-Antwort und verursacht zusätzliche API-Kosten (für Embedding-Berechnung und Datenbank-Queries). In hochskaligen Anwendungen oder interaktiven Chats summieren sich diese Verzögerungen und Kosten merklich. Bei großen Datenbeständen (etwa Millionen von Dokumenten) stößt RAG zudem an Performance-Grenzen: Das kontinuierliche Durchsuchen riesiger Corpora kann zum Flaschenhals werden.

Bis 2023 hatten viele Firmen erste RAG-Projekte pilotiert, mit gemischten Resultaten. Einige mussten feststellen, dass eine RAG-Lösung nur so gut ist wie ihr schwächstes Glied: schlechte Daten-Chunks oder mangelhafte Suche wirkten sich sofort auf die Antwortqualität aus. Die Wartung der Pipeline brachte komplexe DevOps-Fragen mit sich, die außerhalb des klassischen ML-Kerngebiets lagen. Trotzdem blieb RAG vorerst alternativlos, um Sprachmodelle verlässlich zu machen. Es galt weiterhin: Lieber eine komplizierte Pipeline in Kauf nehmen, als ein LLM ohne RAG „halluzinieren“ zu lassen.

Neue LLM-Generationen: Warum RAG an Relevanz verliert

Ab 2024 begann sich das Blatt zu wenden. Die neuesten großen Sprachmodelle, GPT-4 und seine Nachfolger, Googles Gemini, Anthropic’s Claude 2 usw., haben Fähigkeiten, von denen man vor wenigen Jahren nur träumen konnte. Drei Entwicklungen stechen besonders heraus, die dazu führen, dass RAG heute nicht mehr der einzige Weg zum Ziel ist:

      1. Modelle mit gigantischem Kontextfenster: Die vielleicht grundlegendste Änderung ist die dramatische Erhöhung des Kontexteingabefensters bei LLMs. Hatte GPT-3 noch 4k Token Kontext, so kamen 2023 mit GPT-4 Varianten mit 32k und sogar 128k Token auf den Markt. Doch das war erst der Anfang: „Modelle wie Google’s Gemini 1.5 können bereits über eine Million Tokens Kontext verarbeiten, etwa den gesamten Roman Krieg und Frieden plus umfangreiche Handbücher, alles in einem Durchlauf“, berichtete ein KI-Stratege 2024. Noch beeindruckender: Künftige Versionen (Gemini 2.5 und GPT-4.1 wurden genannt) sollen 10 Millionen Token oder mehr nahe an Echtzeit verarbeiten können, mit nahezu perfektem Recall über all diese Informationen. Diese extreme Kontextgröße verändert das Spiel fundamental. Wenn ein Modell den gesamten relevanten Text direkt im Prompt haben kann, schrumpft der Nutzen von selektivem Retrieval. Wie es treffend hieß: „Je weniger die Token-Limits eine Rolle spielen, desto mehr verblasst die Notwendigkeit, Informationen selektiv zu holen. Statt Fitzelchen extern nachzuladen, können künftige LLMs riesige Datensätze verstehen und darüber raisonieren, ohne jemals ihren eigenen Kern zu verlassen“. ! Natürlich kommen diese Long-Context-Modelle nicht ohne Trade-offs: Ein 500.000-Token Prompt kostet deutlich mehr Rechenzeit als ein 5.000-Token Prompt. Größere Kontexte bedeuten höhere Latenz und Kosten je Anfrage. Doch auch hier gab es Fortschritte, effizientere Modelle und Hardware, sowie Prompt Caching reduzieren die Kosten drastisch. Laut aktuellen Benchmarks 2025 liegt der Input-Kostensatz für GPT-4.1 bei nur noch ca. $3 pro 1 Mio. Token, mit Caching-Techniken gar ~$0,75/Mio. Die Antwortzeiten bleiben im akzeptablen Bereich; z.B. benötigt Googles Gemini 1.5 (1 Mio Tokens Kontext) rund 0,4s bis zur ersten Antwort, die 2-Millionen-Token-Version etwas über 0,8s, immer noch schnell genug für viele Anwendungen. Zudem zeigen Studien, dass moderne LLMs mit großem Kontext auf vielen Frage-Antwort-Aufgaben genau so gut oder besser abschneiden als traditionelle RAG-Pipelines. In internen Tests fand man sogar einen leichten, aber konsistenten Vorteil zugunsten der Inline-Kontext-Methode gegenüber Vektor-Retrieval. Kurz gesagt: Warum umständlich retrieven, wenn man alles Relevante einfach direkt ins Prompt packen kann?
      1. Verbessertes internes Wissen der Modelle: Parallel zur Kontextvergrößerung ist auch die parametrische Wissensbasis der Modelle gewachsen. GPT-4 etwa wurde mit einem Vielfachen an Daten und Parametern gegenüber GPT-3 trainiert und zeigt deutlich überlegenes Faktenwissen und reasoning. Heutige Top-Modelle beherrschen Fachgebiete, für die man früher zwangsläufig RAG gebraucht hätte. Dadurch können sie viele Anfragen aus eigenem „Gedächtnis“ korrekt beantworten. Mit GPT-3 war es z.B. schwierig, sehr spezielles Fachwissen oder aktuelle Ereignisse abzudecken, RAG musste hier aushelfen. GPT-4.1 oder GPT-5 (das neuesten Berichten zufolge Mitte 2025 erschien) können hingegen weit mehr Fakten intern abrufen, teils sogar mit Referenzen aus ihrem Training. Die Wissenslücke, die RAG schließen sollte, ist also kleiner geworden. Für zahlreiche Anwendungsfälle, vor allem im generischen Bereich, reicht das im Modell gespeicherte Wissen aus, ohne dass eine externe Suche bemüht werden muss. RAG ist dort nur noch ein optionales Add-on, kein zwingender Bestandteil mehr.
        1. Eingebaute Tools und Langzeit-Memory: Vielleicht der entscheidende Wandel: Moderne KI-Systeme werden zunehmend multifunktional. Sprachmodelle können heute lernen, eigenständig Werkzeuge zu nutzen. OpenAIs ChatGPT etwa wurde 2023 um eine Plugin-Schnittstelle erweitert, über die es Web-Recherchen durchführen oder Firmendatenbanken abfragen kann. Microsofts Bing Chat ging noch weiter und verheiratete GPT-4 direkt mit der Bing-Websuche, sodass der Chatbot live im Web sucht und Quellen zitiert, ohne dass der Nutzer es manuell anstoßen muss. Damit wird im Grunde ein RAG-ähnlicher Prozess unsichtbar im Hintergrund ausgeführt, das LLM „weiß“, wann es externe Infos braucht, und ruft sie selbstständig ab. Solche integrierten Retrieval-Konnektoren machen separate RAG-Pipelines überflüssiger, weil die Fähigkeit zu recherchieren nativ im System verankert ist. Gleichzeitig entstehen Agenten-Frameworks, die Langzeitspeicher für LLMs bereitstellen. Ein KI-Agent kann sich z.B. Notizen in einer Datenbank ablegen oder vergangene Gesprächsinhalte in einer Vektor-DB sichern, um sie bei Bedarf wieder ins Kontextfenster zu laden. Erste Experimente wie AutoGPT (Frühjahr 2023) nutzten Pinecone als persistenten Speicher, um über viele Schritte hinweg Informationen zu behalten. Mit anderen Worten: Anstatt bei jeder Frage neu zu retrieven, speichern solche Systeme relevantes Wissen dauerhaft ab, sodass das Modell in späteren Interaktionen darauf zurückgreifen kann, ähnlich einem Gedächtnis. Auch großen Foundation Models selbst werden allmählich Memory-Mechanismen beigebracht; Forschungsarbeiten zu Recurrent Memory Transformers oder hierarchischer Attention zielen darauf ab, dass ein Modell sich Informationen langfristig merken und gezielt wieder aktivieren kann. Die Vision für 2025+: KI-Systeme, die eingebautes Faktenwissen, riesigen Kontext und Recherche-Fähigkeiten haben. In so einem Umfeld ist ein starr vordefiniertes RAG-Konstrukt nur noch eine von vielen möglichen Routen, um Wissen einfließen zu lassen.
        1. Alternative Ansätze zum Wissensmanagement: Neben den technischen Fortschritten bei LLMs selbst beobachten wir auch einen Trend, Wissen anders bereitzustellen. Viele Unternehmen experimentieren damit, ihre proprietären Daten direkt ins Modell zu integrieren, z.B. via Fine-Tuning oder Low-Rank-Adaption auf Firmendokumenten. War früher der RAG-Ansatz („LLM + DB“) das Mittel der Wahl, so gibt es heute vermehrt hybride Strategien. Manche setzen auf größere Kontexte für statische Inhalte, aber nutzen einfache Retrievial-Methoden (Keyword- oder BM25-Suche) für hochaktuelle Schnipsel, je nach Bedarf. Andere bauen Agenten-Workflows, wo das Modell je nach Anfrage intelligent entscheidet, ob es einen Wissensspeicher konsultiert oder mit vorhandenem Kontext auskommt. So eine adaptive Pipeline kombiniert das Beste aus beiden Welten: Bei komplexen oder massiven Datenbeständen kann nach wie vor ein Vektor-Retriever einspringen (z.B. bei Terabyte-großen Knowledge Bases, wo Full-Context selbst 1 Mio Tokens sprengen würde). Für überschaubare Datenmengen hingegen, etwa die Dokumentation einer Software oder die E-Mails eines einzelnen Nutzers, reicht es inzwischen oft, einfach alles auf einmal ins Modell zu laden. Diese Flexibilität reduziert die Abhängigkeit von klassischen RAG-Architekturen.

 Zeitstrahl: RAG und seine Ablösung (2020–2025)

        • 2020–2021: Geburt von RAG. Forschungsgruppen (Facebook AI, Google etc.) experimentieren damit, LLMs durch externe Textbausteine schlauer zu machen. Die seminale Arbeit von Lewis et al. (2020) demonstriert, dass ein GPT-Modell via Retrievial deutlich besser bei wissensintensiven Fragen abschneidet. Erste Prototypen beantworten Fragen zu Wikipedia-Artikeln, ohne alle Fakten ins Modellhart verdrahten zu müssen. RAG zeigt: Man kann ein statisches KI-Modell dynamisch updaten, indem man passenden Kontext nachschiebt.
        • 2022: Durchbruch in der Praxis. Immer mehr praktische Implementierungen erscheinen. Mit dem Boom der Vektor-Datenbanken (Pinecone & Co.) und Tools wie LangChain wird RAG für Entwickler leicht handhabbar. Unternehmen integrieren LLMs mit ihren Intranet-Dokumenten, Produkt-Handbüchern, Wissensdatenbanken. „LLM + eigene Daten“ etabliert sich als Pattern, um z.B. Kundenfragen automatisch zu beantworten oder Reports zusammenzufassen. RAG avanciert zum Standardsystem, um Halluzinationen entgegenzuwirken und aktuelle Infos einzubinden. Allerdings: Die Pipeline-Komplexität wächst (Daten vorverarbeiten, regelmäßig nachladen etc.), was zu den ersten Klagen über Wartungsaufwand führt.
        • 2023: Ernüchterung und Grenzen. Nicht alle RAG-Projekte erfüllen die hochgesteckten Erwartungen. Probleme mit irrelevanten Chunks, abgeschnittenen Antworten oder schlicht hohen Antwortzeiten werden offensichtlich. Gleichzeitig erscheinen leistungsfähigere Basismodelle (GPT-4), die out-of-the-box viel wissen, und manche fragen sich: Brauchen wir für jeden Anwendungsfall wirklich noch diese komplizierte RAG-Schicht? Dennoch bleibt RAG für Enterprise-Anwendungen Best Practice, insbesondere wegen der Möglichkeit, Quellen anzugeben und Modelle an firmenspezifisches Wissen anzudocken. In dieser Phase wird auch viel geforscht, wie man RAG verbessern kann (bessere Chunking-Strategien, Kombination von keyword- und Vektorensuche, etc.), um die genannten Schwächen in den Griff zu bekommen.
        • 2024: LLMs sprengen die Limits. Ein Wendepunkt: Neue Modelle mit 128k+ Token Kontext kommen auf den Markt. Anthropic’s Claude 2 präsentiert sogar eine 100k-Token-Version für komplexe Analysen. OpenAI ermöglicht Plugins und Browsing für ChatGPT, das Modell kann nun selbst im Web recherchieren. Google kündigt Gemini an, ein Modell, das hunderte Seiten Text am Stück verarbeiten kann. Erste Tests zeigen: Gibt man GPT-4 große Dokumente direkt ins Prompt, liefert es teils bessere Ergebnisse als mit klassischen RAG (wo nur Ausschnitte gegeben wurden). Die Diskussion „Long Context vs. RAG“ nimmt Fahrt auf. Man erkennt aber auch: Einfach alles ins Prompt zu kippen hat Nebenwirkungen (höhere Kosten, gelegentliche Lost-in-the-Middle-Effekte). Dennoch, die Machbarkeit, komplette Dokumente ohne Retrievial zu analysieren, verändert die Architekturentscheidungen fundamental.
        • 2025: RAG verliert den Alleinstellungsanspruch. Mittlerweile verfügen die neuesten Foundation Models über eingebaute Mechanismen, um Wissen aus externen Quellen zu ziehen oder langfristig zu speichern. GPT-5 beispielsweise (im Spätsommer 2025 veröffentlicht) wird von OpenAI als „mitdenkendes“ Modell vermarktet, das sich Tools zunutze machen kann und ein erweitertes Arbeitsgedächtnis besitzt. Cohere und andere Anbieter integrieren Retrievial-Funktionen direkt in ihre Modell-APIs, sodass ein Entwickler nicht mehr selbst eine Pipeline bauen muss, sondern dem Modell etwa per Parameter angeben kann, welche Wissensbasis es hinzuziehen soll. Zugleich sind Hybridansätze verbreitet: Systeme entscheiden je nach Anfrage zwischen Direkt-Prompting oder Retrievial. RAG ist weiterhin nützlich in Nischen, etwa wenn es um extrem große oder streng zugangsbeschränkte Datenbestände geht, wo man aus Effizienz- oder Compliance-Gründen nicht alles dem Modell zeigen kann. Aber es ist nicht mehr der Mittelpunkt jeder LLM-Anwendung. Vielmehr hat man nun ein Spektrum an Möglichkeiten, Wissen einzubinden.

Fazit: RAG – vom Übergangshelden zum Werkzeug im Baukasten

Heute, im Jahr 2025, hat sich der KI-Kosmos allerdings weitergedreht. Die neuesten Modelle tragen von sich aus viel mehr Wissen in sich und können riesige Informationsmengen direkt verarbeiten. Gleichzeitig können sie via Tools, APIs und Memory dynamisch auf externe Daten zugreifen, ohne dass ein Mensch im Hintergrund Dokumente zusammenstellen muss. RAG ist daher nicht mehr der alles dominierende Architekturzwang, sondern eine Option unter vielen. In einigen Szenarien mag es weiterhin die beste Wahl sein, z.B. wenn man eine sehr große, häufig aktualisierte Wissensbasis hat und maximale Kontrolle über die Datenflüsse braucht. Doch für zahlreiche Anwendungsfälle gibt es mittlerweile einfachere oder integriertere Lösungen: Sei es, das Kontextfenster einfach größer zu wählen, das Modell direkt auf Firmenwissen zu fine-tunen, oder auf integrierte Suchfähigkeiten zu setzen.

Man kann zuspitzen: RAG war ein Kind seiner Zeit. Es entstand aus der Notwendigkeit, technische Beschränkungen zu umgehen. Diese Beschränkungen sind heute weit weniger drückend. Das heißt nicht, dass Retrievial-Augmentation völlig verschwindet, aber ihr Stellenwert relativiert sich. Die KI-Systeme der neuesten Generation entscheiden flexibler, wie sie zu benötigtem Wissen kommen, und RAG ist nur noch eine mögliche Methode dafür. Ein Branchenbeobachter formulierte es so: „RAG war eine elegante Lösung für ein Problem, das wir nicht mehr in dem Maße haben. Die Zukunft gehört Modellen, die riesige Wissensbasen nativ handhaben können“. Ob RAG als eigenständiges Paradigma damit ausgedient hat oder in bestimmten Nischen weiterlebt, bleibt abzuwarten, wahrscheinlich letzteres. Für den Moment jedoch lässt sich festhalten: Die Entwicklung der LLM-Technologie hat RAG vom unentbehrlichen Grundpfeiler zu einem Baustein unter vielen gemacht. Unternehmen und Entwickler können, und sollten, jetzt genauer abwägen, wann sie wirklich eine komplexe RAG-Pipeline brauchen und wann ein einfacherer Ansatz genügt, um ihren KI-Anwendungen Wissen einzuhauchen.

Quellen: Lewis et al. (2020), Gartner (2021), Salesforce Research (2023), NVIDIA (2023), Dataiku (2024), Ethan Brooks (2024), Cohere (2024), Awarity.ai (2024), Datawizz (2025), OpenAI (2025), Google DeepMind (2025)

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