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Build vs. Buy: Warum Eigenentwicklungen im Kundenservice und Sales oft verlieren: Deep Dive (Teil 2)
By Nicolas Bartschat | 10.07.2025

Dies ist Teil 2 unserer Serie „Build vs. Buy“. Im ersten Teil ging es um die grundsätzlichen Überlegungen, warum firmeneigene Lösungen im Kundenservice und Vertrieb häufig hinter spezialisierten Kauf-Lösungen zurückbleiben. Nun tauchen wir tiefer: Am Beispiel von Voice AI Agents im Kundenservice analysieren wir die verborgene Komplexität interner KI-Eigenentwicklungen. Die zentrale Erkenntnis vorweg: Ein scheinbar simpler Voicebot ist wie ein Eisberg: die größten Treiber für Komplexität bleiben unter der Oberfläche verborgen. Studien zeigen, dass rund 80 % aller KI-Projekte ihre Ziele verfehlen. Warum? Weil Unternehmen oft die technischen Hürden, den Ressourcenaufwand, den Talentmangel, die Betriebs- und Wartungslast und den Zeitfaktor unterschätzen.
Der Agenten-Eisberg: Verborgene technische Komplexität
„The Agent Iceberg“ – die Spitze (oben) steht für den sichtbaren Teil von AI Lösungen, während unter Wasser zahlreiche verborgene Hürden liegen, die viele Unternehmen unterschätzen! Heute beleuchten wir das anhand des Beispiels: AI Voice Agents.
Ein Voice AI Agent mag nach außen simpel wirken: ein Kunde stellt eine Frage, die KI antwortet. Doch wie ein Eisberg ragt die eigentliche Komplexität unter der Wasseroberfläche. Nur ein Bruchteil der Arbeit steckt in der Nutzung des eigentlichen KI-Modells, das die Antworten generiert. Der Großteil entfällt auf unsichtbare Elemente: Datenintegration, Infrastruktur, Sicherheit, Prozesse. Eine aktuelle BCG-Analyse verdeutlicht, dass nur ~10 % der KI-Aufgaben im Algorithmus selbst liegen, während 20 % auf Technologie-Stack und 70 % auf Menschen und Prozesse entfallen (1). Mit anderen Worten: Die Schwierigkeit liegt weniger darin, einen KI-Algorithmus zu entwickeln, als vielmehr darin, ihn in die bestehende Unternehmenslandschaft sinnvoll einzubetten und dauerhaft zu betreiben.
Was verbirgt sich alles unter der Oberfläche eines Voicebots? Zum Beispiel:
- Integrationen & Workflows: Anbindung an Telefonie, CRM und Ticketsysteme, weiterleitende Systeme (etwa intelligente Weitergabe an menschliche Agenten bei komplizierten Fällen) und flüssige Einbettung in bestehende Support-Workflows.
- Regulatorik & Sicherheit: Datenschutz– und Compliance-Prüfungen, Schutz vor Prompt-Injection und Missbrauch, Implementierung von Richtlinien (z.B. DSGVO), plus Rollen- und Zugriffsrechte für die Steuerung des Systems.
- Qualitätssicherung & KI-Training: Ständige Überwachung der Gespräche, Auswertung von Fehlerfällen, regelmäßige Nachtrainings/Fine-Tuning des Sprachmodells, Regressionstests und Simulationen, um die Qualität zu halten oder zu verbessern.
- Betrieb & Performance: Skalierbare Infrastruktur für Spracherkennung und KI-Services, Latenz-Optimierung (Parallelisierung von Prozessen, damit Gespräche natürlich wirken und Lastspitzen abgedeckt werden können), Ausfallsicherheit und Notfallpläne, Protokollierung und Audits für jeden Kundenkontakt.
All diese Punkte müssen bei einer Eigenentwicklung mitgedacht und umgesetzt werden. Unternehmen unterschätzen diese technische Tiefe oft gravierend. BCG hat herausgefunden, dass über 70 % der Probleme bei KI-Projekten auf solche versteckten Faktoren, etwa Datenqualität, Prozesse und Change-Management, zurückzuführen sind, nicht auf die KI-Technik selbst (2). Anders ausgedrückt: Häufig scheitern KI-Eigenentwicklungen nicht an der Idee an sich, sondern an den „Umfeld-Aufgaben“, genau den Teilen, die wie beim Eisberg unter der Oberfläche liegen. Wer intern baut, muss diese gesamte Last schultern können.
Ressourcenfresser Eigenentwicklung: hoher Aufwand und versteckte Kosten
Eine eigene KI-Lösung zu entwickeln, ist ressourcenintensiv: sowohl in Geld als auch in Manpower. Oft werden initial Budget und Zeit für den Prototyp eingeplant, doch die Realität sprengt diese Ansätze. Gartner-Daten zeigen, dass Unternehmen allein für erste KI-Pilotprojekte zwischen 300.000 und 2,9 Millionen US-Dollar ausgeben, nur für den Proof-of-Concept (3). Dieser Betrag fließt, noch bevor der Voicebot überhaupt produktiv einen einzigen Kunden bedient hat. Kommt es danach zur Umsetzung, steigen die Kosten exponentiell: Infrastruktur (z.B. für Spracherkennung in Echtzeit), Lizenzen für Sprachtechnologie, Integration in bestehende Systeme – all das summiert sich.
Hinzu kommt, dass interne Projekte häufig den gesteckten Rahmen sprengen. Viele Firmen unterschätzen Aufwand und Wechselwirkungen. Laut einer BCG-Umfrage nennen über 60 % der Unternehmen eine fehlende End-to-End-Planung (mit klaren Meilensteinen, Ressourcenmodellen etc.) als Hauptursache dafür, dass große Tech-Programme scheitern oder explodieren (4). Die Folgen sind drastisch: Projekte verzögern sich, Budgets werden mehrfach nach oben korrigiert. Ein Extrembeispiel: Ein Großunternehmen musste sein gescheitertes IT-Großprojekt nach acht Jahren neu starten, mit verdreifachtem Budget nahe 1 Milliarde € und verdoppelter Laufzeit (5). Solche Risiken trägt man voll selbst, wenn man auf Eigenentwicklung setzt. Externe Lösungsanbieter dagegen verteilen die Entwicklungskosten auf viele Kunden und haben vieles schon fertig, ein Vorteil, der sich in deutlich geringeren Stückkosten und schnelleren Ergebnissen niederschlagen kann. Deloitte beziffert die Kosteneinsparung durch Outsourcing von KI-Entwicklung auf bis zu 60 % (6), da teure Fehlinvestitionen, langwierige Personalaufstockungen und ineffiziente Prozesse vermieden werden.
Kurz gesagt: Eine Inhouse-Lösung bedeutet, viel Zeit und Geld in Vorleistungen zu stecken, ohne Garantie, dass am Ende ein funktionierendes Produkt steht. Diese Ressourcen fehlen dann oft an anderer Stelle im Unternehmen.
Talente gesucht: Fachkräftemangel bremst KI-Projekte aus
Ein weiterer limitierender Faktor: Die richtigen Leute. KI-Spezialisten, ob Dateningenieure, Machine-Learning-Experten oder Conversational-Designer, sind rar und heiß umkämpft. McKinsey erhob 2023, dass sich 60 % der Unternehmen vom Mangel an Tech-Talenten ausgebremst fühlen bei ihren Digitalisierungsinitiativen. Lediglich 16 % der befragten Führungskräfte gaben an, ausreichend Technologie-Fachkräfte im eigenen Haus zu haben. Dieser Engpass verschärft sich noch mit dem AI-Boom: Innerhalb der EU wird bis 2027 ein Fehlen von bis zu 3,9 Millionen Tech-Fachkräften prognostiziert (7).
Für ein KI-Eigenprojekt bedeutet das: Selbst wenn Budget da ist, man muss erst einmal ein Team aus hochqualifizierten Spezialisten aufbauen. Die Personalkosten sind erheblich (ein erfahrener KI-Ingenieur kostet schnell über six figures jährlich). Zudem dauert das Recruiting Zeit, und gute Leute sind häufig nach wenigen Monaten wieder weg, wenn attraktivere Angebote locken. Know-how-Abfluss ist ein echtes Risiko bei Eigenentwicklungen: Verlässt der/die Schlüsselingenieur*in das Unternehmen, steht das Projekt abrupt auf der Bremse.
Ohne eingespieltes Team aus KI-Experten, DevOps, Datenexperten und Fachexperten aus dem Kundenservice ist ein Voicebot-Projekt kaum stemmbar. Externe Anbieter punkten hier, weil sie solche Teams bereits haben. Doch wer trotzdem selbst entwickeln will, muss bereit sein, intensiv in Ausbildung, Rekrutierung und Bindung von Talenten zu investieren, in einem Arbeitsmarkt, der von knapper Angebotsseite und hohen Gehältern geprägt ist.
Betrieb und Wartung: eine dauerhafte Herausforderung
Ist der Prototyp erst einmal gebaut, fängt die Arbeit eigentlich erst an. Ein Voice AI Agent ist kein Projekt mit Endpunkt, sondern eine Daueraufgabe. Modelle müssen laufend gepflegt, verbessert und an neue Gegebenheiten angepasst werden. Daten driften, Kundensprache ändert sich, neue Produkte und Services kommen hinzu, der Bot muss all das lernen. Ohne kontinuierliches MLOps (Machine Learning Operations) gerät die anfängliche KI schnell ins Hintertreffen.
Doch genau hier scheitern viele Inhouse-Initiativen. Nur etwa 26 % der Unternehmen weltweit haben KI-Fähigkeiten soweit entwickelt, dass sie von Proof-of-Concepts in skalierte Lösungen übergehen konnten (8). Mit anderen Worten: Drei von vier Firmen schaffen es nicht, ihre KI-Projekte wirklich in den Produktivbetrieb und darüber hinaus zu bringen. Die Gründe sind vielfältig. Oft fehlen Prozesse für Monitoring, Updates und Fehlerbehebung. Es bedarf eines engen Zusammenspiels von IT, Facheinheiten und Data Science, um einen Voicebot dauerhaft erfolgreich zu betreiben. Viele unterschätzen diesen Organisationsaufwand.
Hinzu kommen technische Wartungsaspekte: Modell-Updates (etwa wenn neue Sprachmodelle oder bessere Spracherkenner verfügbar werden), Security-Patches, Skalierung bei höherem Gesprächsvolumen, Integration zusätzlicher Kanäle (Chat, E-Mail, etc.). All das muss inhouse kontinuierlich gemanagt werden. Ein Versehen, und der Bot funktioniert nicht mehr richtig oder verstößt gegen Compliance. Gartner weist darauf hin, dass 57 % der Unternehmen nicht einmal über „AI-ready“ Daten verfügen, d.h. ihre Datenbasis ist gar nicht produktionsreif für KI (9). Solche Defizite in der Datenaufbereitung und Governance führen dazu, dass Projekte scheitern oder nach erstem Erfolg stagnieren. Die Pflege der Trainingsdaten, das Bereinigen und Anreichern von Kundenanfragen für bessere Ergebnisse, das Einführen von Feedback-Schleifen, all das ist essentiell, aber aufwendig.
Mit einer gekauften Lösung lagert man einen Großteil dieser Wartungsarbeit an den Anbieter aus, dieser stellt Updates bereit, kümmert sich um die Infrastruktur und lernt aus dem gesamten Kundenstamm kontinuierlich dazu. Beim Eigenbau hingegen muss Ihr Team dauerhaft einen erheblichen Teil seiner Kapazität für den reibungslosen Betrieb reservieren. Wer baut, wird unweigerlich zum Betreiber eines komplexen Systems, und das auf unbestimmte Zeit.
Zeitdruck und Geschwindigkeit: der Markt wartet nicht
Neben Technik, Kosten, Personal und Betrieb kommt ein ganz pragmatischer Faktor hinzu: Zeit. In dynamischen Märkten, und Kundenservice zählt definitiv dazu, ist Geschwindigkeit Gold wert. Eine Inhouse-Entwicklung eines Voicebots kann leicht 12–18 Monate oder länger bis zum ersten MVP dauern. Diese Zeit arbeitet gegen einen: Wettbewerber, die auf bestehende Lösungen setzen, sind vielleicht in wenigen Monaten live. Jede Verzögerung im Projekt kostet zudem bares Geld und entgangene Chancen. Boston Consulting Group fand heraus, dass über zwei Drittel großer Tech-Projekte nicht innerhalb der vorgesehenen Zeit oder des Budgets bleiben. Die Folge sind nicht nur entnervte Teams, sondern auch handfeste Verluste: Für ein typisches Großunternehmen kann jedes Jahr Verzögerung Mehrkosten von über 20 Millionen € bedeuten (10), vom entgangenen Nutzen ganz zu schweigen.
Gerade im Kundenservice und Vertrieb ist Time-to-Market entscheidend. Wenn ein innovatives KI-System zwei Jahre in der Entwicklung steckt, hat sich der Markt vielleicht bereits weitergedreht: Kunden erwarten inzwischen andere Features, oder der Wettbewerber hat bereits eine überzeugende KI-Assistenz im Einsatz. Dieser Wettbewerbsnachteil lässt sich schwer wieder gutmachen.
Zudem steht man intern unter Druck, Erfolge vorzuweisen. Lange Entwicklungszyklen ohne sichtbaren Mehrwert können das Management und die Stakeholder enttäuschen. Die Geduld für Eigenentwicklungen schwindet schnell, wenn nach einem Jahr noch kein spürbares Ergebnis im Kundenservice zu sehen ist. Eine Kauf-Lösung kann hier punkten, weil sie viel schneller einsatzbereit ist, oft sind Implementierungen innerhalb weniger Wochen möglich, wo Eigenentwicklungen Monate benötigen. So berichtet Forrester Research, dass durch Outsourcing erzielte KI-Projekte im Schnitt 20 % schneller am Markt sind als rein interne Entwicklungen. Und laut Deloitte lassen sich Entwicklungszeiten durch Zukauf externer KI-Lösungen um bis zu 50 % verkürzen (11). Kurz: Zeit ist Geld, und bei Build vs. Buy oft der ausschlaggebende Faktor, ob ein KI-Projekt überhaupt den intendierten Nutzen bringen kann, bevor es von der Realität überholt wird.
Fazit: Realistisch bleiben: nicht jeder muss alles selbst bauen
Ein Voicebot im Kundenservice klingt verlockend, aber die Hürden für eine Eigenentwicklung sind enorm. Technische Komplexität, erheblicher Ressourcenbedarf, fehlende Spezialisten, hoher Wartungsaufwand und der Wettlauf gegen die Zeit sorgen dafür, dass viele Inhouse-Projekte hinter den Erwartungen zurückbleiben. Was wie ein einfacher Anwendungsfall wirkte, entpuppt sich als strategisches Mammutprojekt.
Die Frage „Build or Buy?“ sollte deshalb mit nüchterner Ehrlichkeit beantwortet werden. Unternehmen müssen sich fragen: Haben wir die Kapazitäten und Kompetenzen, all diese Eisberg-Faktoren selbst zu bewältigen? Wenn nein, ist es kein Scheitern, auf einen erfahrenen Anbieter zu setzen, im Gegenteil. Die oben skizzierten Studien und Beispiele zeigen, dass Inhouse-Lösungen oftmals an unterschätzten Herausforderungen scheitern. Buy bedeutet, von bestehenden Lösungen, Best Practices und der Lernkurve anderer zu profitieren. Build bedeutet, jeden Fehler selbst (oft teuer) machen zu müssen.
Unser Rat: Fokussieren Sie auf Ihr Kerngeschäft. Wenn KI nicht Ihr Kern-Expertisebereich ist, ziehen Sie ernsthaft in Betracht, eine bewährte Lösung einzukaufen oder mit einem Partner zu entwickeln. So vermeiden Sie, dass Ihr ambitioniertes Projekt im Eisberg der versteckten Komplexität stecken bleibt. Am Ende zählt das Ergebnis – und das spricht sich im Kundenservice schnell herum. Eigenentwicklungen „verlieren“ oft dann, wenn Überschätzung auf Realität trifft. Erfolgreich ist, wer die Realität anerkennt und den pragmatisch sinnvollen Weg wählt, sei es Build oder Buy. In Teil 1 dieser Newsletter-Serie haben wir bereits erste Gründe dafür beleuchtet – und die hier dargestellten Fakten untermauern es weiter: Man muss das Rad nicht neu erfinden, um mit KI im Kundenservice durchzustarten.
Wählen Sie den Weg, der Ihrem Unternehmen den schnellsten und nachhaltigsten Mehrwert bringt.
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